Auch von der Württembergischen liegt nun eine Stellungnahme zur Problematik der "spontanen Anzeigepflicht" vor. Die Württembergische positioniert sich ganz ähnlich wie die Alte Leipziger, indem sie die Anwendung der spontanen Anzeigepflicht auf ganz besondere Ausnahmefälle beschränkt. Die Württembergische erläutert in ihrer Stellungnahme auf noch einmal, was eigentlich die überwiegende Rechtsauffassung in der Rechtssprechung und Literatur zu der "spontanen Anzeigepflicht" ist. Dadurch wird klar, dass wir es bei dem Urteil des LG Heidelberg und bei den Fällen der Basler, die in zumindest einem Fall einen BU-Leistungsanspruch ablehnte, mit abseitigen Rechtsauffassungen zur spontanen Anzeigepflicht zu tun haben. Wir sind daher auch sehr optimistisch, dass in der Berufsverhandlung das Urteil des Landgericht Heidelberg "kassiert" wird. Dann können sich auch Versicherer wie die Basler, die hier eine merkwürdige Widersprüchlichkeit zwischen Wort und Tat gezeigt hat, sich nicht mehr auf eine zu weitreichend verstandene spontane Anzeigepflicht berufen.
Nun die Stellungnahme der Württembergischen im Wortlaut. Unter dem Text gibt es auch eine PDF zum Download der Stellungnahme.
Württembergische Lebensversicherung und Württembergische Krankenversicherung zum Thema Spontane Offenbarungspflicht
Im Kern geht es bei dem Thema „spontane Anzeigepflichtverletzung des Kunden“ darum, ob der
Kunde Umstände gesundheitlicher, finanzieller oder beruflicher Art von sich aus offenbaren muss,
nach denen der Versicherer in den Antragsfragen überhaupt nicht gefragt hat.
Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass es eine uneingeschränkte spontane Anzeigepflicht seit
Geltung des VVG 2008 nicht (mehr) gibt.
Im nicht rechtskräftigen Urteil des LG Heidelberg vom 8.11.2016, 2 O 90/16 nimmt das LG Heidelberg
jedoch eine solche spontane Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers (VN) mit
Anfechtungsmöglichkeiten des Versicherers (VR) schon dann an, wenn dieser erkennt, dass es bei
der nicht erfragten, aber bei ihm vorliegenden Krankheit um eine Krankheit handelt, die für den
Abschluss des Vertrags durch den VR von Bedeutung ist. Konkret ging es um eine Multiple Sklerose
Erkrankung, die der VR nicht erfragt hatte.
Mit dieser Begründung könnte der VR faktisch jede im Kurzantrag nicht erfragte, aber vom VN als
gefahrerheblich erkannte Erkrankung nachträglich im Leistungsfall sanktionieren.
Das ist für uns zu weitgehend und wir hätten in diesem konkreten Fall auch anders
entschieden.
Wir teilen jedoch die herrschende Rechtsauffassung, dass eine Anfechtung wegen arglistiger
Täuschung in seltenen Ausnahmefällen grundsätzlich möglich ist, wenn der VN Umstände
verschwiegen hat, nach denen nicht ausdrücklich gefragt ist (Prölss Martin 29. A., § 22, 3 u.a.).
Solche Fälle können vorliegen, wenn der Kunde dem VR gegenüber einen extremen
Wissensvorsprung hat. Das können Fälle extrem seltener medizinischer Erkrankungen, eventuell auch
neu entdeckter Erkrankungen sein (wie z.B. seinerzeit HIV), die der VR in seinen Fragebögen noch
gar nicht abbilden konnte oder von denen nur ganz wenige Fachleute und Betroffene Kenntnis haben
und bei denen der Eintritt des Leistungsfalls sehr wahrscheinlich ist.
Das OLG Celle, ZfS 2016, 270 vertritt dazu eine sehr vernünftige Auffassung, die wir für zutreffend
halten. Danach ergibt sich aus Treu und Glauben eine weitere Aufklärungspflicht des VN
über § 19 Abs. 1 VVG hinaus für nicht erfragte Umstände, dies jedoch nur bei Umständen, die zwar
„offensichtlich gefahrerheblich sind, aber so ungewöhnlich, dass eine konkrete Frage danach
nicht erwartet werden kann“.
Fazit
- Einen generellen Verzicht auf Sanktionen bei spontaner Anzeigepflicht wollen wir
nicht aussprechen, um unser Versichertenkollektiv vor besonderem Missbrauch zu schützen. - Die Begründung des LG Heidelberg zur Verpflichtung der spontanen Anzeigepflicht geht uns
jedoch zu weit. Wir teilen die Auffassung des OLG Celle, indem wir die Anwendung auf ganz
besondere Extremfälle beschränken. - Bei Produkten mit keinen oder vereinfachten Gesundheitsfragen verzichten wir daher auch auf
eine Anzeigepflicht bei Umständen, dir wir bei einer vollständigen Gesundheitserklärung
abgefragt hätten. Dies betrifft z.B. die Berufsunfähigkeitsversicherung mit vereinfachten
Gesundheitsfragen.
Der vom LG Heidelberg behandelte Fall mit einer verschwiegenen MS-Erkrankung wäre daher bei uns kein Fall für eine spontane Anzeigepflichtverletzung.